Wasser – Der Schlüssel in einer nachhaltigen Bioökonomie | Die Vorstandskolumne

„Die Vorstandskolumne“ ist eine Rubrik, in der Sie monatlich aus der Perspektive eines GWP-Vorstandsmitglieds über relevante Themen aus dem Wassersektor informiert werden. Die vierten Ausgabe kommt von Dr. Ursula Schließmann.

Dr. Ursula Schließmann, GWP-Vorstandsmitglied

Von der Umweltverschmutzung bis zum Klimawandel – die Krisen unserer Zeit sind menschengemacht. Der Preis für die in der Vergangenheit sorglose Nutzung von Wasser und anderen Ressourcen ist hoch. Höchste Zeit, die Frage zu beantworten, wie wir wirtschaften und produzieren wollen, ohne der Umwelt, dem Klima, wertvollen Ökosystemen und letztlich dem Menschen zu schaden.

Als stellvertretende Leiterin des GWP-Arbeitskreises „Innovation und Wissenschaftskooperation“ und Koordinatorin des Geschäftsfelds Umwelt am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB zeige ich in dieser Kolumne Beispiele aus der angewandten Forschung, welche Optionen sich für eine nachhaltige Bioökonomie auftun, wenn wir Abwasser als Ressource begreifen – und mit innovativen Technologien aufbereiten, um all seine Bestandteile wiederzunutzen.

Abwasser als Ressource nutzen

Am Anfang der Wertschöpfung steht der Stoff – und auf einer Kläranlage landen alle biogenen Rest- und Nährstoffe der Nahrungsmittel, die wir Menschen verzehrt haben. Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Kläranlage kann alle Stoffe liefern, die für die Produktion neuer Lebens-, Futtermittel oder auch für die Herstellung bestimmter Materialien benötigt werden. Die Voraussetzung für die Nutzung liegt in ihrer Verfügbarmachung, also Konzentrierung, Trennung und Aufarbeitung. Insbesondere muss aber neu gedacht –  müssen Gedankengrenzen überwunden werden.

Dass das funktioniert, hat Fraunhofer im Projekt EVOBIO “Evolutionäre bioökonomische Prozesse EVOBIO – Integrative Nutzung von Stoffströmen zur Herstellung optimierter Materialien für innovative Produkte in bioökonomischen Prozesskreisläufen“ gezeigt und damit die Kläranlage zu einem zentralen Bestandteil eines regionalen Kreislaufwirtschaftssystems ausgebaut. Als technische Basis dafür diente im Teilprojekt „Kläranlage der Zukunft“ eine auf einer Kläranlage in Ulm installierte Pilot-Hochlastfaulung. Diese setzt den auf einer Kläranlage anfallenden Schlamm nicht nur zu Biogas als regenerative Kohlenstoff- und Energiequelle um, sondern liefert zudem Schlammwasser und Gärreste als weitere nutzbare Stoffströme.  Daraus können z. B. Mikroalgen Stoffe produzieren, die Pflanzen bei der Abwehr von Pilzinfektionen wie Mehltau unterstützen und Pestizide ersetzen und Nährstoffe können in Hydroponiksystemen und Aquakulturen genutzt werden.

Schlüsselfaktoren Monitoring, Sensorik und Digitalisierung

Schlüsselfaktoren für das Gelingen solcher Ansätze sind neben den Aufbereitungstechnologien vor allem deren Integrationsfähigkeit in das Gesamtsystem, die Gewährleistung der Resilienz durch Digitalisierung sowie spezifische Sensorik.

Um sicherzustellen, dass das gereinigte Abwasser hygienisch unbedenklich ist, muss die Reinigung konstant überwacht werden. Zur Reinigung des Abwassers stehen bei Fraunhofer Verfahren zur Verfügung, die insbesondere schwer abbaubare Mikroschadstoffe effizient beseitigen. Zur Überwachung der Wasserqualität werden neue Inline-Sensoren entwickelt, die kontinuierlich alle notwendigen Parameter messen. Ein sehr spezifischer Nachweis von Mikroorganismen wird mittels selektiver Rezeptoren des menschlichen Immunsystems entwickelt.

Einen intensiven Austausch gibt es mit dem BMBF-geförderten Verbundvorhaben HypoWave, das von der TU Braunschweig (Prof. Dockhorn) koordiniert wird und in dem das Fraunhofer IGB mitwirkt. Ziel von HypoWave war die Aufbereitung von Abwasser für den hydroponischen Pflanzenbau. Es galt also, verschiedene komplexe Zielstellungen der Wasseraufbereitung zu vereinbaren: So musste nicht nur die Nährstoffversorgung der Pflanzen sichergestellt und die behördlichen Auflagen für die Nährstoffelimination im Zuge der Abwasserreinigung erfüllt, sondern auch die Keimbelastung unterhalb relevanter Grenzwerte gewährleistet werden. Für die technische Umsetzung wurden künstliche neuronale Netze eingesetzt. Auf der Grundlage von mit zahlreichen Sensoren erfassten Messdaten ermöglicht eine solch intelligente, selbstlernende Steuerung, die verschiedenen Steuergrößen der Abwasseraufbereitung automatisch anzupassen.

Bioökonomische Herangehensweise

Ein Ansatz wie in EVOBIO wird durch eine bioökonomische Herangehensweise ermöglicht, die auf der Nutzung und Erzeugung biologischer Ressourcen wie Mikroorganismen, Mikroalgen, Pflanzen und Abwasser und seiner Verknüpfung mit innovativen Aufarbeitungstechnologien beruht. Die aus den neuen Ressourcen hergestellten Produkte müssen gleichzeitig so gestaltet werden, dass sie nach ihrem Gebrauch in einzelne, weiter- oder wiederverwertbare Moleküle oder Elemente zerlegt werden können. Die Bioökonomie liefert hierfür Lösungen.

Ist der Markt dazu bereit?

Für den umfassenden Ansatz müssen etablierte Wertschöpfungsketten zu miteinander kommunizierenden Wertschöpfungsnetzwerken weiterentwickelt werden. Sind die Unternehmen dazu bereit und wie lässt sich ein Transfer in die industrielle Umsetzung bewerkstelligen? Welche neuen Geschäftsmodelle sind notwendig, um Kläranlagen und Betriebe, in denen Abwässer und biogene Reststoffe anfallen, zu Produzenten sekundärer Rohstoffe und Materialien zu machen? Diesen Fragen müssen wir auf den Grund gehen, um einen konzeptionellen Ansatz zur Verwertung der neuen Verfahren in der Bioökonomie zu erarbeiten.

Globale Bedeutung

Der Klimawandel macht nicht an Grenzen halt. Und das Problem der Nutzungskonkurrenz um die Ressource Wasser ist in vielen Regionen der Welt weitaus dramatischer als hierzulande. Die vorgestellten Lösungsansätze sind international von immenser Relevanz, wie beispielsweise die 2020 in Kraft getretene EU-Verordnung zur Wasserwiederverwendung zeigt.

Insbesondere auch für die Planer rasant wachsender Städte weltweit ist die Entwicklung neu gedachter dezentraler Wassermanagementsysteme eine Investition, die sich auszahlt. Die Nutzung von Abwasserinhaltsstoffen und die Wiedernutzung des gereinigten Abwassers für den Aufbau einer intelligenten Wasserinfrastruktur wird in Zukunft eine tragende Rolle spielen.

Der GWP-Arbeitskreis „Innovation und Wissenschaftskooperation“ beschäftigt sich damit, Wege zu finden, um neue Denkansätze und Ideen für Unternehmen in der Realität wahr werden zu lassen. Beteiligen Sie sich am Diskurs!

Lesen Sie weitere Ausgaben der Vorstandskolumne:

Ausgabe 1: German Water Partnership setzt die Segel für ein erfolgreiches Jahr 2021 – Gunda Röstel

Ausgabe 2: Die vier großen D’s für eine nachhaltige Wasserwirtschaft – Richard Vestner

Ausgabe 3: Indien – Wachstumsmarkt der Superlative – Michael Kuhn

 

Eine Übersicht aller Vorstandsmitglieder finden Sie hier.