Die vier großen D’s für eine nachhaltige Wasserwirtschaft | Die Vorstandskolumne

„Die Vorstandskolumne“ ist eine Rubrik, in der Sie monatlich aus der Perspektive eines GWP-Vorstandsmitglieds über relevante Themen aus dem Wassersektor informiert werden. Digitalisierungsexperte Dr. Richard J. Vestner liefert die zweite Ausgabe.

In den Bemühungen, die Auswirkungen von globalen Herausforderungen, wie Klimaveränderung und Verlust von Biodiversität und Resilienz zu minimieren, sind wesentliche weltweite und branchenübergreifende Ansätze zu beobachten. Die Wasserwirtschaft ist nicht nur gefordert, sondern auch fähig und bereit einen Beitrag zu leisten. Dabei übernimmt die Digitalisierung zunehmend eine befähigende Aufgabe, die ich im Folgenden im Kontext anderer nachhaltiger Strategien beleuchten möchte. Zusammen nenne ich dieses Maßnahmenpaket: „Die vier großen D’s“.

Vorstandsmitglied Dr. Richard J. Vestner

Dekarbonisierung

Weltweit sind Anstrengungen zur Dekarbonisierung der Rohstoff-Kreisläufe festzustellen. Die Wasserwirtschaft hat bereits Erfolge damit, den relativen Wasserbedarf zu senken, was einen großen Einfluss auf die damit verbundenen Kohlenstoffemissionen hat. Wassersparende Komponenten und Prozesse, die Reduzierung von Wasserverlusten und die Wiederverwendung von Wasser sowie nachfragebezogene Wassertarife sind als Beispiele zu nennen. Auch zur Reduzierung der Nutzung fossiler Ressourcen im Bau und Betrieb wasserwirtschaftlicher Anlagen gibt es bereits zahlreiche Ansätze.

Dezentralisierung

Dezentrale Lösungen ermöglichen lokale oder regionale Kreisläufe. Allerdings setzen sie sich oft nur bei Entwicklungen auf der grünen Wiese durch, infolge der Vor-Investitionen in zentralere Systeme.

Global, technologie- und sektorübergreifend ist jedoch ein Trend zur Dezentralisierung erkennbar, von dem auch die Wasserwirtschaft profitieren kann. Dabei geht es schlicht um die agile Beherrschung von zunehmender Komplexität in Netzwerken und die zeitgerechte Befriedigung von Bedarfen, die weit weg von der Produktion oder Entscheidungsfindung sind. Kleinere Netze können somit eine intelligente Ergänzung zu großen Zentralsystemen darstellen und ihren Vorteil der schnelleren Anpassungsfähigkeit einbringen.

Demokratisierung

Wie andere Branchen profitiert auch der Wassersektor bereits von einer Demokratisierung von Technologie, Information und Wissen. Low-code/No-code Applikationen und Open Source-Software ermöglichen es auch vielen Nicht-ExpertInnen und Einzelpersonen, sich an technischen Weiterentwicklungen zu beteiligen.

Um Innovation zu fördern, werden neue Arbeitsmethoden geschaffen, die eine Kultur des Teilens und Experimentierens fördern. Dieser Trend ermöglicht es auch der Wasserwirtschaft, neue Berufsbilder anzubieten und digitale Talente anzuziehen.

Demokratisierung schließt aber auch die Verantwortung für Bildung und Ausbildung mit ein. ArbeitnehmerInnen müssen mit den raschen Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz Schritt halten und davon profitieren können. Dazu braucht es neue (Aus-)Bildungsangebote.

Digitalisierung

Die Digitalisierung schließlich dient als Querschnitts-Kompetenz zur Ermöglichung der vorgenannten Initiativen und ist zu einer Priorität im Wassersektor herangewachsen. Vorteile daraus zugunsten des Ressourcenschutzes werden bereits beim Planen genutzt. Beispielsweise kann BIM (Building Information Modeling) und Visualisierung mittels Mixed Reality ein gemeinsames und effizienteres Planen, Bauen, Betreiben und Lernen ermöglichen. Echtzeitüberwachung und Prognosen erlauben höhere Effektivität und geringeren Energieverbrauch durch Bedarfssteuerung, vorausschauende Lastverteilung und Automatisierung. Hier spielt auch die anlagenbezogene, vorbeugende Instandhaltung eine Rolle, die zu datenbasierten Entscheidungen zur Erhöhung der Betriebssicherheit und Betriebskostenreduktion beiträgt.

Derzeitiger Technologie-Höhepunkt ist der Digitale Zwilling, bekannt aus dem Industrie 4.0 Ansatz, der unter Nutzung vorhandener IT-Systeme, unter Einbezug von Künstlicher Intelligenz und weiterer Daten aus dem Internet der Dinge den Grundstein legt für selbst-lernende, flexible und adaptive Wassersysteme. Daher arbeiten bereits zahlreiche Infrastruktur­eigentümer und Betreiber im In- und Ausland an großskaligen Anwendungen, die über Computerisierung und Modellierung weit hinausgehen, wie beispielsweise das städtische Wasserunternehmen von Porto. Dabei wird auch die dezentrale Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle spielen (Stichwort: Edge-Computing).

Die dafür notwendige intelligente Konnektivität kann durch eine verbundene Datenumgebung (Connected Data Environment) geschaffen werden, in der verschiedene Datenquellen und -anwendungen nebeneinander existieren und nur die zur Problemlösung relevanten Informationen fallbezogen identifiziert und sicher genutzt werden. Damit werden neue Korrelationen und Abhängigkeiten in Anwendungsfällen sichtbar.

Die sogenannte „Vierte industrielle Revolution“ mag vor allem deswegen revolutionär sein, weil sie in Punkto Geschwindigkeit, Umfang, Tiefe und Komplexität alle vorherigen Stufen übertrifft und gesamtheitlich transformativ wirkt. Dies hat auch Chancen und Risiken für die Wasserwirtschaft, die sich neuen Lösungen, Geschäftsmodellen und Akteuren stellen muss.  Mit zunehmender Akzeptanz digitaler Technologien im Wassersektor werden große Technologieunternehmen aktiv – Softwareunternehmen, Cloud Dienstleister, Elektronikhersteller usw. – und bauen mit speziellen Produkten, Partnerschaften und Geschäftsbereichen strategische Positionen in Wasser auf. Gleichzeitig verkündigen sie ambitionierte Nachhaltigkeitsziele. Wir haben einen Vertreter dieser globalen Big Tech Unternehmen für die BLUE PLANET Berlin Water Dialogues gewinnen können, um mehr darüber zu erfahren.

Fazit

Als wesentliche Treiber der Digitalen Transformation im Wassersektor wurden Notwendig­keiten zur Erhöhung der Effizienz, zur Reduzierung der Kosten sowie eine strengere Regulierung ausgemacht. Ich glaube, wir müssen die Zusammenhänge größer denken und wichtige Bezüge der Digitalisierung zur Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung erkennen und nutzen, im Sinne dieser Beschreibung von „4D“.

GWP beschäftigt sich insbesondere im Arbeitskreis Wasser 4.0 mit der Digitalisierung und wie diese in wasserwirtschaftlichen Anwendungen Wertschöpfung betreiben kann – Sie sind herzlich zur Mitwirkung eingeladen!

Eine Übersicht aller Vorstandsmitglieder finden Sie hier.