Ein Interview mit Hanna Montavon, Geschäftsführerin des Mykolaiv Water Hub und Mitglied des Steuerungskomitees des deutsch-ukrainischen Partnerschaftsprojekts.

Frau Montavon, vielen Dank, dass Sie Einblicke in die aktuellen Herausforderungen der ukrainischen Wasserversorgung sowie in das Partnerschaftsprojekt zwischen German Water Partnership (GWP) und dem Mykolaiv Water Hub (MWH) geben, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird. Können Sie zu Beginn den derzeitigen Zustand der Wasser- und Abwasserinfrastruktur in Mykolajiw und anderen vom Krieg betroffenen Städten beschreiben?
Die Situation ist äußerst herausfordernd. Viele ukrainische Städte in der Nähe der Frontlinie – insbesondere im Süden und Osten des Landes – einschließlich Mykolajiw, haben schwere Schäden an ihrer kritischen Infrastruktur erlitten. In Mykolajiw wurden die Hauptwasserentnahme und Versorgungsleitungen bereits zu Beginn der großflächigen Invasion zerstört, wodurch fast 500.000 Menschen auf Notlösungen angewiesen waren. Auch Abwasserinfrastrukturen, wie Pumpstationen und Kläranlagen, wurden in mehreren Regionen teilweise oder vollständig zerstört.
Neben den materiellen Schäden sind die noch bestehenden Systeme veraltet, ineffizient und durch die Aufnahme von Binnenvertriebenen stark belastet. Ein Mangel an technischem Personal, fehlende Ersatzteile und eine instabile Energieversorgung verschärfen die Situation zusätzlich.
Darüber hinaus erlebt der Sektor einen gravierenden Mangel an Fachkräften mit Führungsqualitäten und strategischem Weitblick. Die Ukraine braucht dringend eine neue Generation von Leitungspersonal – Visionärinnen und Visionäre, die sich an internationalen Best Practices orientieren, Innovationen vorantreiben und ihre Organisationen durch Krise und Wandel führen können. Der Aufbau dieser menschlichen Kapazitäten ist genauso wichtig wie der Wiederaufbau der Infrastruktur. Hier können unsere internationalen Partner, insbesondere aus Deutschland, eine entscheidende Rolle spielen.
Was sind die dringendsten technischen und betrieblichen Herausforderungen des ukrainischen Wassersektors?
Eine der größten Herausforderungen ist die Reparatur der beschädigten Infrastruktur unter Kriegsbedingungen – eine Aufgabe, die sowohl gefährlich als auch logistisch äußerst komplex ist. Gleichzeitig kämpfen die Versorgungsunternehmen darum, die Wasserqualität zu sichern und die öffentliche Gesundheit zu schützen – mit begrenzten Laborkapazitäten und unzureichenden Überwachungssystemen.
Zudem ist die Energieeffizienz stark beeinträchtigt, da viele Versorgungsbetriebe auf veraltete und energieintensive Technologien angewiesen sind, was Betriebskosten erhöht und die Anfälligkeit bei Stromausfällen vergrößert. Viele Versorger verfügen außerdem nicht über digitale Asset-Management-Systeme oder krisenresiliente Planungsinstrumente.
Erschwerend kommt ein Mangel an qualifiziertem Personal hinzu – insbesondere an Techniker:innen, Ingenieur:innen und Führungskräften. Nicht zuletzt bleibt der eingeschränkte Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten ein großes Hindernis: Investitionen konzentrieren sich häufig auf kurzfristige Notfallreparaturen, anstatt auf langfristige, nachhaltige Infrastrukturentwicklung.
Was sind die Hauptziele des deutsch-ukrainischen Wissens- und Technologietransfers?
Das übergeordnete Ziel besteht darin, den grünen und nachhaltigen Wiederaufbau des ukrainischen Wassersektors durch strukturierte Zusammenarbeit und Wissensaustausch zwischen deutschen und ukrainischen Partnern zu unterstützen.
Dazu gehören:
- Stärkung der technischen und institutionellen Kapazitäten ukrainischer Versorgungsbetriebe
- Einführung ressourceneffizienter und EU-konformer Technologien und Praktiken
- Aufbau einer Plattform für Austausch und langfristige Kooperation
- Identifizierung von Modellfahrplänen und Pilotprojekten, die im ganzen Land skaliert werden können
Wie trägt das Projekt konkret zum nachhaltigen Wiederaufbau und zur Modernisierung der Wasser- und Abwasserinfrastruktur in der Ukraine bei?
Die Initiative schafft eine solide technische und strategische Grundlage für den Wiederaufbau des ukrainischen Wassersektors durch eine Reihe koordinierter Maßnahmen. Es beginnt mit der Kartierung bestehender Infrastrukturen und der Identifizierung von Lücken, um ein klares Bild der aktuellen Kapazitäten und Prioritäten zu erhalten. Gleichzeitig konzentriert sich das Projekt auf die Erhebung und Übersetzung wichtiger Daten ukrainischer Versorgungsbetriebe, um einheitliche und umsetzbare Informationen für Entscheidungen bereitzustellen. Ein deutsch-ukrainisches Steuerungskomitee wird den Prozess leiten und zu validieren.
Durch die Einführung neuer Standards, die Verbesserung des datenbasierten Wassermanagements und die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren trägt das Projekt dazu bei, ukrainische Städte für zukünftige Investitionen internationaler Geldgeber und der EU in den Bereich nachhaltiger Wasserinfrastruktur zu positionieren.
Welche Projektaktivitäten sind in den nächsten sechs Monaten geplant?
Ein zentrales Ziel wird die Fertigstellung der Status-quo-Analyse mit mindestens zwei Modellversorgern sein, um ein klares Verständnis der aktuellen Bedingungen und Bedarfe zu gewinnen. Parallel dazu werden regelmäßige Austauschformate – wie digitale Roundtables und Workshops – organisiert, um den Dialog und Wissenstransfer zwischen den Partnern beider Länder zu fördern.
Das Projektteam wird außerdem eine starke Präsenz bei hochrangigen Veranstaltungen wie der Ukraine Recovery Conference sicherstellen, um Sichtbarkeit zu schaffen und die Aktivitäten mit den übergeordneten Wiederaufbau- und Entwicklungsinitiativen abzustimmen.
Zur Unterstützung dieser Aktivitäten werden die Daten kontinuierlich übersetzt und standardisiert, sodass ein einheitliches Informationsmanagement und die Vergleichbarkeit zwischen den Versorgungsunternehmen gewährleistet wird.
Wie können deutsche Unternehmen und Organisationen das Projekt unterstützen? Welche Sektoren, Technologien oder Fachbereiche sind besonders relevant?
Deutsche Unternehmen können das Projekt auf vielfältige Weise unterstützen. Sie können kompakte und modulare Aufbereitungstechnologien anbieten, die eine schnelle Implementierung in krisengeschädigten Gebieten ermöglichen. Energieeffiziente Pumpen und Systeme – insbesondere solche, die mit Solarenergie kompatibel sind – sind entscheidend, um die Versorgung trotz instabiler Stromnetze aufrechtzuerhalten.
Digitale Tools für Anlagenmanagement, Leckageerkennung und SCADA-Systeme können helfen, veraltete Infrastrukturen zu modernisieren und die betriebliche Effizienz zu verbessern. Darüber hinaus werden dezentrale Abwasserlösungen benötigt, um kleinere Gemeinden oder durch Krieg vertriebene Bevölkerungsgruppen zu versorgen.
Deutsche Expertise ist außerdem wertvoll bei der Durchführung von Schulungsprogrammen, technischen Entsendungen sowie der Unterstützung bei Machbarkeitsstudien und Lebenszyklusanalysen.
Die Beteiligung von Technologieanbietern, Ingenieurbüros, Wasserverbänden und akademischen Institutionen ist nicht nur willkommen – sie ist essenziell. Es handelt sich hierbei nicht nur um humanitäre Hilfe, sondern um ein strategisches Engagement für den Wiederaufbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur in der Ukraine im Einklang mit EU-Standards.
Welche Chancen eröffnet dieses Projekt für GWP-Mitglieder?
Die Initiative bietet GWP-Mitgliedern:
- Direkten Zugang zu einem sich schnell entwickelnden Markt mit hoher Nachfrage nach resilienter Infrastruktur
- Strukturierte Zusammenarbeit mit geprüften ukrainischen Versorgungsbetrieben und Kommunen
- Sichtbarkeit als Teil eines DBU-geförderten, europaweit beachteten Solidaritätsprojekts
- Eine Plattform zur Pilotierung innovativer Technologien
- Potenzial für langfristige kommerzielle und institutionelle Partnerschaften in der Ukraine
Durch ihre Beteiligung am Wissens- und Technologietransfer können GWP-Mitglieder dazu beitragen, Leitlinien und europäische Standards für den Wiederaufbau des ukrainischen Wassersektors mitzugestalten und einen bedeutenden Beitrag zur Modernisierung sowie zum Aufbau einer robusten und nachhaltigen Wasserzukunft in der Ukraine zu leisten.
