Die deutsche Wasserindustrie in Lateinamerika | Die Vorstandskolumne

„Die Vorstandskolumne“ ist eine Rubrik, in der Sie aus der Perspektive eines GWP-Vorstandsmitglieds über relevante Themen aus dem Wassersektor informiert werden. Die 25. Ausgabe der Reihe liefert Michael Kersting.

Der Markteintritt in Lateinamerika kann für deutsche Unternehmen eine Herausforderung sein, aber auch eine große Chance bieten. Die vielen Delegationsreisen deutscher Politiker in den letzten Monaten zeigen, dass der Kontinent immer mehr in den Fokus deutscher Außenwirtschaftspolitik rückt. Insbesondere die gute sicherheitspolitische Lage in den meisten lateinamerikanischen Staaten bietet viele attraktive Vorteile für deutsche Firmen.

Michael Kersting, GWP-Vorstandsmitglied

Aber warum zeigen sich viele deutsche Unternehmen so zurückhaltend, wenn es um die Erschließung dieses Marktes geht?

Insbesondere der Wassersektor bietet hier viele Geschäftschancen und so werden gerade in Brasilien riesige Summen im Rahmen der Privatisierung in die Wasserver- und Abwasserentsorgung investiert. Trotzdem ist der Anteil deutscher Anbieter in diesem Sektor überschaubar und oft sind es Unternehmen, die schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten in der Region aktiv sind.

Eine mögliche Erklärung für die Zurückhaltung ist die Tatsache, dass es sich bei Lateinamerika um einen eigenen Kosmos handelt, der sich durch die spanische und portugiesische Sprache klar abgrenzt. Wer mit der Erwartungshaltung herangeht, dass einem hier die Beherrschung der englischen Sprache weiterhilft, wird oft schnell enttäuscht. Selbst auf Ingenieursniveau sind hier selten Gesprächspartner zu finden.

Des Weiteren machen kulturelle Unterschiede es Deutschen mit wenig Vorerfahrung nicht leichter. Oft sind insbesondere Unterschiede in der Kommunikation und im Zeitverständnis herausfordernd. Das richtige Hören und Einschätzen feiner Unterschiede, wie zwischen einem ‚ahora‘ (jetzt) und einem ‚ahorita‘ (Verkleinerungsform von jetzt), ist eine Fähigkeit, die es zu lernen gilt. Auch dass ein Ansprechpartner erst mit 45-minütiger Verspätung erscheint oder ein Termin wenige Minuten vor Beginn abgesagt wird, sind Erfahrungen, die viele Lateinamerikareisende schon selbst gemacht haben. Ändern wird man daran nichts, außer man öffnet seinen Blick auf neue Sichtweisen und übt sich in Geduld. Mir persönlich haben Lateinamerikaerfahrungen insofern geholfen, als dass ich seitdem wesentlich entspannter mit Verspätungen oder Absagen von Terminen umgehen kann.

Impression der Landschaft © Michael Kersting

Als letzte Eintrittsbarriere möchte ich noch auf rechtliche und regulatorische Anforderungen verweisen. Diese umfassen unter anderem die Einhaltung von Steuervorschriften, Arbeitsgesetzen und Umweltvorschriften. Insbesondere Brasilien macht es einem oft nicht leicht, hierdurch einen Zugang zum Markt zu finden. So erhebt beispielsweise Brasilien hohe Einfuhrzölle auf eine Vielzahl von Waren. Zudem ist das dortige Steuersystem komplex mit einer Vielzahl unterschiedlichster Steuern und Abgaben, die auf den Verkauf erhoben werden. Auch sollte man genügend Zeit für den „Papierkram“ einplanen, da beispielsweise Genehmigungen oft sehr zeitaufwendig sind und dementsprechend die Verfahren verteuern.

Wie kann einem das Regionalforum Lateinamerika von German Water Partnership e.V. (GWP) dabei helfen, einen Zugang zum Markt zu finden?

Eine der Hauptstrategien des Forums ist die Vernetzung mit lokal verorteten Institutionen. Hierzu zählen insbesondere die Außenhandelskammern (AHK), deren Expertise schon im Rahmen vieler Präsentationen die verschiedensten Länder beleuchteten. Am Beispiel von Brasilien zeigt sich, dass die Zusammenarbeit noch viel weitreichender sein kann. So unterstützt die AHK Rio de Janeiro das Forum dabei, sich lokal mit Verbänden und Versorgern zu vernetzen und gemeinsame Austauschplattformen zu generieren. Auch das schon durch das Regionalforum Afrika etablierte „Ask the Experts“- Format wäre hier eine weitere Möglichkeit einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen und Kundenanforderungen mit deutschem Expertenwissen zu matchen.

Teilnehmende der letzten Sitzung des Regionalforums Lateinamerika im Januar in Hamburg © GWP 2023

Durch GWP durchgeführte Delegationsreisen im Rahmen des Markterschließungsprogramms für KMU, wie Geschäftsanbahnungsreisen oder Leistungsschauen, ermöglichen den Mitgliedern zusätzlich, sich den lateinamerikanischen Märkten mit Begleitung durch Fachexperten zu nähern. Zurzeit stehen hier Chile und Brasilien im Fokus. Um einen noch breiteren und auch branchenübergreifenden Austausch zu erreichen, wurde im letzten Jahr eine Kooperationsvereinbarung mit dem Lateinamerika Verein e.V. (LAV) geschlossen und viele gemeinsame Formate zusammen durchgeführt. GWP profitiert hier von der exzellenten politischen Vernetzung des LAV in Lateinamerika, die schon viele Jahrzehnte zurückreicht.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass ein erfolgreicher Markteintritt in Lateinamerika eine gründliche Planung, die Anpassung an lokale Bedürfnisse und eine gute Zusammenarbeit mit lokalen Partnern erfordert. Das Regionalforum Lateinamerika bietet GWP- Mitgliedern die optimale Plattform, diesen Schritt erfolgreich zu meistern. Auch Geduld und Ausdauer fallen leichter, wenn wir sie gemeinsam angehen!